Gedanken zur Zeit II

KI oder der (Alb)Traum von Intelligenz für alle.

Künstliche Intelligenz KI ist die irrationale Hoffnung auf den Ersatz der realen Dummheit.

Unlängst hat die Europäische Union EU angekündigt, die so genannte Künstliche Intelligenz KI per Gesetz irgendwie unter Kontrolle bringen zu wollen. Nachdem KI schon sämtliche Wissenschaften, die den Hype um die KI seit nunmehr zwei Jahren unkritisch, ja geradezu euphorisch vorantreibenden Medien selbst und den lese- und schreibfaulen Otto-Normalverbraucher längst schon erreicht hat. Nachdem es kaum mehr einen Sekundarschüler gibt, der seine Hausaufgaben und seine Prüfungsarbeiten nicht dem Roboter anvertraut (Doktoranden inklusive), nachdem kaum eine Redaktionsstelle mehr übrig bleibt (was an sich kaum von Belang ist, weil es sich dabei meist nur noch um die Propagandisten bestimmter Inserenten handelt) und nachdem die Wissenschaft auf breiter Front ihre Glaubwürdigkeit den digitalen Autopiloten geopfert hat, will man in Brüssel also dem in Kalifornien geschaffenen Ungeheuer den Kampf ansagen. Gemächlich allerdings, denn man will es sich mit den Masters of the Universe nicht verscherzen, sollen in mehreren Schritten einzelne Gefahrenkategorien reguliert werden. Das wird wie angekündigt Jahre dauern. Zeit genug, um die digitalen Kriegsfürsten rechtzeitig jene Anpassungen vornehmen zu lassen, die den Rückstand der Regulatoren sicherstellen werden. Man kennt das Spiel.


Man reagiert auf die neuen Technologien immer zu spät – immer – und meist nachdem die (noch) von vernunftgesteuerten Wissenschaftlern angekündigten Risiken längst schon Realität geworden sind. Beispiele gefällig? Bitte schön: Atomenergie, Biotechnologie, Gentechnologie, Mobilität auf Strasse, Schiene und in der Luft, Internet und Social Media, Hochfrequenzhandel an der Börse, Atomwaffen, Pharma (Liste unvollständig). Die Reparaturkosten belaufen sich in jedem Fall auf das Mehrfache dessen, was die jeweiligen Profiteure eingestrichen haben. Freilich bezahlen die Steuerzahler die Schäden, die Profite bleiben in privater Hand, genauer: bei jenem Prozent, das weltweit über 80 Prozent der Vermögen verfügt. Das ist halt die neoliberale Welt.


Intelligenz aus Dummheit schöpfen?


Wahnsinn sei, soll Albert Einstein geschrieben haben, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten. Und: Zwei Dinge seien unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, „aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher“.

Da hat sich also das AGFA-Kartell, dafür entschieden, eine neue unendliche Geldquelle aufzutun, indem man der Menschheit ein weiteres Mal Glück, Geld und Segen verspricht – ohne etwas dafür tun zu müssen. Aus dem in Kalifornien angehäuften globalen Wissensschrott soll demnach so etwas wie künstliche Intelligenz geschaffen werden. Wobei schon der Begriff falsch ist, denn künstlich ist an der Sache gar nichts, denn in den Tiefen der Sklavenregionen Asiens und Afrikas sind einfach ein paar Hunderttausend kaum bezahlte, dafür mit wertlosen Uni-Diplomen dekorierte Tippser damit beschäftigt, kolossale Computer mit dem vorhandenen Wissen und Scheinwissen aus Milliarden von Publikationen zu füttern. Man soll dies die Roboter trainieren, heisst es. Algorithmen sorgen dann dafür, dass sich Lohnschreiber durch Eingabe von Stichworten Artikel besorgen können, für die man früher echte journalistische Arbeit verrichten musste und die – früher – an den real existierenden Fakten abgesichert wurden. Eine seit Jahrzehnten systematisch verdummte Leserschaft ahnt nichts davon. Doktoranden tun dasselbe, ebenso jede daher gelaufene Abiturientin. Ganz zu schweigen vom Heer all jener, die sich um einen neuen Job bemühen, weil sie gerade eben durch die Erleichterungen, welche KI ihrem Unternehmen und dessen Aktionariat verschafft hat, gefeuert wurden. Um dann prompt mithilfe ebendieser KI schon in der Bewerbungsvorrunde dank Algorithmen, deren sich die Ausbeuter der menschlichen Ressourcen, pardon die HR-Fachkräfte, bedienen, abserviert zu werden. Der Witz dabei: die durch Algorithmen generierten Bewerbungsdossier sind durch dieselben Algorithmen, nun aber im Dienst der Gegenseite, als wertlose Machwerke entlarvt worden. Die Katze beisst sich in den Schwanz. Oder eben, wie eingangs festgestellt: KI ist die irrationale Hoffnung auf einen Ersatz der realen Dummheit.


Saubere Energie für schmutzige Geschäfte


Bei der seit gut zwei Jahren anhaltenden Goldgräberstimmung sowohl an den Börsen als auch bei Verlegern, Generälen und nicht zuletzt bei den Lohnschreibern, die nicht einmal mehr merken, dass sie sich selber ihr Grab schaufeln, wird – wie schon in anderen vergleichbaren Fällen von „Entwicklungsschüben“ sorgsam ausgeblendet, dass es sich bei KI keineswegs um eine Art Perpetuum Mobile handelt, das ohne zutun von Energie von sich aus läuft und läuft und läuft. Die für die KI benötigten Super-Rechner sind gigantische Energievernichter. Bereits ist man soweit, dass für Grossrechner neue riesige Kapazitäten für die Energieproduktion bereitgestellt werden müssen. In Schweden soll angeblich der forcierte Ausbau der Atomenergie – die entgegen jeder menschlichen Vernunft als sauber eingestuft wird – für die Befriedigung der unkontrolliert anwachsenden Stromnachfrage für Finanztransaktionen und KI dienen. Die Kolonisierung des Wissens durch ein paar wenige KI-Monopole muss ja irgendwie angetrieben werden, nicht wahr? Von wegen Winterstromlücke und so! In der helvetischen Mantelerlass-Vorlage, welche die Alpen mit Solarpannels und Windmühlen zupflastern ermöglichen soll, steht jedenfalls kein Wort vom exponentiell steigenden Strombedarf für sinnlose KI-Abenteuer.

Nach dem undurchschaubaren und somit unkontrollierbaren Hochfrequenzhandel in der Finanzwelt und der damit verbundenen Block-Chain-Technologie sorgt nun die KI-Mafia für einen weiteren Stromschock. Allein das Bitcoin-Casino verbraucht zwischen zwei und fünfmal soviel Strom wie die ganze Schweiz in einem Jahr. Und Bitcoin ist nur eine dieser dunklen Währungen, die für das Weisswaschen schmutziger Gelder immer beliebter werden.


Durch Begriffsinflaltion zur Banalisierung der Gefahren


Wer sich heutzutage abmüht, noch einen einigermassen eigenständig fabrizierten Zeitungsartikel zu finden, wird erstaunt feststellen, dass es anscheinend kaum mehr einen Bereich gibt, der angeblich nicht von KI bestimmt werden soll. Was man früher dem kreativen Schaffen von Ingenieuren oder den Versuchsanordnungen in Labors zuschrieb, wird heute ohne Nachdenken der KI zugeteilt. Selbst der Sechsjährige im Kindergarten darf seinen Taschenrechner nunmehr der KI zuordnen. Wobei in Klammern vermerkt sei, dass man vor noch nicht allzu langer Zeit Kopfrechnen als Disziplin in den Schulen übte. Tempi passati.

Gedankenloser, weil offensichtlich künstlich generierter Journalismus, übernimmt jeden Scheiss aus jeder beliebigen Propagandaabteilung, die behauptet, man habe soeben dank KI den Bleistift erfunden. Oder ein neues Surfbrett, oder ein neues Medikament gegen eine Krankheit, die gerade von der KI erfunden worden sei. Hinter der Inflation des Begriffs steht natürlich ein Absicht: Je mehr überall bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit von der Künstlichen Intelligenz geschwatzt wird, umso rascher ist die dahinter steckende reale Gefahr einer komplett manipulierten Gesellschaft banalisiert. Kein Schwein wird sich darüber aufregen, wenn die NATO, der Kettenhund des Pentagon, in absehbarer Zeit aufgrund von KI-Erkenntnissen einen „Verteidigungskrieg“ gegen Russland führen „muss“. Und niemand muckt mehr auf, wenn dank KI ein neues Virus aus der Retorte der biologischen Kriegstreiber entweicht und die halbe Menschheit verseucht (mit der Medien-Pandemie um Covid wurden wir alle ja bereits auf Gehorsam trainiert).

Freuen wir uns heute über die lächerlichen KI-Errungenschaften, denn wenn es ernst wird, werden wir es im dank KI erzeugten geistigen Koma gar nicht mehr merken.


Olten, zum Frühling 2024/SF




Deutscher Winter

Wiederholt sich die deutsche Geschichte? Angesichts der Weigerung, aus der Vergangenheit zu lernen, drängt sich diese Frage auf. Der Reihe nach.

Am 30. Januar 1933 – just vor 90 Jahren – ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den Oesterreicher Adolf Hitler zum Reichskanzler. Es war das Ende der ersten deutschen Republik und der Anfang des zwölf Jahre dauernden tausendjährigen Reiches. Vorausgegangen waren furchtbare Erschütterungen des sozialen, wirtschaftlichen und politischen Lebens in Deutschland (und nicht nur dort, wenn auch in anderen Zusammenhängen). Mord und Totschlag politischer Gegner waren an der Tagesordnung. Die Nazis spielten dabei eine hervorragende Rolle, indem sie den politischen Terror gezielt als Mittel zur Destabilisierung einsetzten und das Land schliesslich sturmreif prügelten, bombten, brandschatzten. Auslöser war der verlorene Krieg und ein von den Siegermächten aufgezwungener „Friedens“-Vertrag, der das geschlagene Deutschland nicht nur militärisch, sondern auch wirtschaftlich und sozial ruinierte. Die Verlierer waren nicht nur besiegt worden, sondern in den Augen vieler – nicht nur in Deutschland – gedemütigt. Das Drehbuch für die Zeit danach hatte der Weltkriegsgefreite Adolf Hitler während eines längeren Gefängnisaufenthaltes in Landsberg geschrieben: Mein Kampf.

Es ist natürlich unstatthaft, die Weimarer Republik mit dem Deutschland eines Kohls oder einer Merkel vergleichen zu wollen, auch wenn beide jeweils sechzehn Jahre an der Macht waren (jeweils ein Jahr länger als die Weimarer Republik gedauert hatte). Trotzdem sind Auffälligkeiten festzustellen, die sich seit Kohls und erst recht seit Merkels Abgang häufen und an düstere Zeiten gemahnen. Nachdem Kohl unter dem Schutz der Westmächte, die Deutsche Demokratische Republik DDR der Bundesrepublik einverleibt hatte, machte sich im ehemaligen Ostdeutschland in breiten Teilen der Bevölkerung alsbald ein Gefühl der Besiegtheit, gefolgt von jenem einer Demütigung breit. Wohl nicht ganz zu unrecht, wenn man sich die nach der so genannten Wende erfolgten Übernahmen ehemaliger Staatsbetriebe und der meisten Immobilien und Grundstücke durch westdeutsche so genannte Investoren anschaut. Die Siegermentalität der Westdeutschen erzeugte bis heute – tiefe Verletzungen im Osten.

Nachdem der letzte Mauerrest – bis auf ein museal verwertbares Stück als Siegeszeichen für den Westen und den Kapitalismus – weggeräumt war, verwandelte sich das ein Jahr zuvor auf die Strasse gehende Volk der DDR – „wir sind das Volk“ – Schritt für Schritt in einen Mob, der sich jenen zuwandte und zuwendet, welche die berechtigten Frustrationen der nunmehr Abgehängten und Deklassierten in Politik verwandelten. Während sich die einen – noch selber Denkenden der Linken zuwandten und auf einen verdaubaren Übergang vom schief gelaufenen Sozialismus-Experiment in ein noch nicht festgeschriebenes neues System hofften, begnügten sich die anderen, der Mob, mit dem Beklagen der erlittenen Benachteiligung und forderten die Rückkehr zu einem Deutschland, das im Mai 1945 untergegangen war. Da die Sieger im Westen die Linken im Osten ohnehin bloss als Erben der Bolschewisten diffamierten und als Gesprächspartner rundweg ablehnten, liess man die braunen Horden weitgehend unbehelligt. (Dass dabei die westdeutsche Sozialdemokratie, wie schon zu Zeiten der Weimarer Republik, den Feind vorwiegend in der linken Konkurrenz sah und sich obendrein in vorauseilendem Gehorsam im Dienste der Westmächte als Bollwerk gegen einen neu aufflammenden Kommunismus inszenierte, sei nur am Rande erwähnt. Die unrühmliche Epoche der rot-grünen Mehrheit zwischen Kohl und Merkel spricht dafür Bände. Ihre gebührt freilich höchstens der Wert einer historischen Randnotiz.)

Nach nunmehr 40 Jahren neoliberaler Herrschaft – die rot-grüne Schröder-Regierung hat u.a. mit Hartz IV den Neoliberalismus geradezu auf die Spitze getrieben – bleibt ein sozial verwüstetes Deutschland zurück. Und jetzt nicht mehr nur im Osten. Die dem Nazitum schon seit dem Mauerfall nahe stehenden Horden der Frustrierten haben sich bis zum Rhein etabliert. Die Alternative für Deutschland AfD ist zu einem Machtfaktor geworden, der sich keiner Masken mehr bedienen muss (wenn man dies überhaupt jemals für nötig gefunden hätte). Die Bezeichnung „ausländerfeindlich“ wird zum Euphemismus angesichts der offen rassistischen Rhetorik, der sich die neuen Führer bedienen (und man getraut sich gar nicht vorzustellen, wie es an Stammtischen und hinter verschlossenen Türen tönt). Ausländer, weit über den Flüchtling hinaus, gelten als abschiebefähig. Und getreu dem Vorbild aus der im Westen als „bewältigt“ geltenden Geschichte, wird der Antisemitismus zum neuerlichen Erkennungszeichen. Mit offener Judenverfolgung in Berlins Strassen hat man bereits begonnen, das Verschmieren von Synagogen ist kaum mehr der Rede wert.

Und man hat auch schon neue Bücher, deren Inhalte von Adolf Hitlers Mein Kampf kaum mehr zu unterscheiden sind, allerhöchstens in der Wortwahl. Und wieder ist es ein Oesterreicher, der den Deutschen zeigt, wo es lang geht. Martin Sellner, ein ganz offensichtlich Grössenwahnsinniger, wie sein geistiger Ahnherr, der die Strategie für einen rechtsextremen Regimewechsel in öffentlich zugänglichen Druckerzeugnissen darlegt. Der Mob hat seinen intellektuellen Überbau gefunden. Mit einigem Erstaunen blicken wir auf eine scheinbar deutsch-immanente Sehnsucht nach den putzigen Oesterreichern, von denen man sich dann völlig begeistert über den Tisch ziehen lässt.

Seit Tagen regt sich nun in Deutschland eine gewisse Menge der Anständigen auf und demonstriert. Nicht gegen den jahrelangen, ja jahrzehntelangen Sozialabbau, gegen die Vernichtung grosser Teile des industriellen Erbes, nicht gegen jahrzehntelange Privilegienwirtschaft zugunsten der oberen 5 Prozent, nicht gegen die Exzesse der Finanzindustrie, nicht gegen eine EU-Politik, die nur den Grosskonzernen dient, die Kleinen und Mittleren Unternehmen aber über die Klinge springen lässt. (Es ist etwa dasselbe, wie wenn Millionen auf die Strasse gingen, um gegen schmelzende Eisberge zu demonstrieren, ohne ein Wort darüber zu verlieren, dass man beispielsweise bei den Ursachen mit einem Tempolimit anfangen könnte, im Gegenteil.) Nein, man demonstriert gegen rechts und echauffiert sich über ein Treffen von AfD-Leuten mit dem Oesterreicher und der Sympathie für dessen Remigrations-Strategie, dem semantisch parfümierten Wort für Massen-Deportation der genannten Ziel-Grösse von 15 Millionen für auszuschaffende, ethnisch nicht saubere Nicht-Deutsche. Sogar der rötliche Kanzler und seine Kriegstreiberin aus dem grünlichen Lager lassen sich mit den Wohlgesinnten ablichten. Als ob dies nicht alles schon längst bekannt wäre, wo doch der Verfassungsschutz angeblich gewisse AfD-Kreise schon seit Jahren ganz offiziell auf dem Radar hat.

Über zwanzig Prozent der Wählerschaft dürfen sich fortan als Märtyrer bezeichnen, als Ausgegrenzte, die ja bloss ein paar Millionen Nicht-Deutsche weghaben wollen. Und ihre Führer werden über Nacht, ohne nur einen einzigen Finger zu krümmen, zu Helden, die Deutschland zukunftssicherer zu machen (siehe Aufzählung oben). Denn dass diese Ausländer mit der um sich greifenden Armut, der mehr als nur stolpernden Wirtschaft und der Verelendung ganzer Gebiete nichts zu tun haben, wissen diese Leute nur zu genau. Das hatten auch die Nazis gewusst, die in den Juden, den Roma und Sinti, den Homosexuellen, den psychisch Kranken usw. auch nur den willkommenen Sündenbock nutzten, um die Etablierung einer totalitären, universellen Herrschaft Vorschub zu leisten. Zumindest soweit greift die AfD noch nicht aus und bescheidet sich vorerst mit der Machtübernahme und der Errichtung eines faschistischen Staates. Fürs Globale sorgen erst einmal Trump, Musk und ein paar andere Irre und in Frankreich der neoliberale Macron, der gerade dem faschistischen Rassemblement National die Tür zum Elysée sperrangelweit öffnet.

Die unglückliche Ampelkoalition – um es einmal ganz zahm auszudrücken – wird natürlich scheitern und zwar noch vor Ablauf des amtlichen Ablaufdatums. Dafür werden – wie in der Vergangenheit auch schon die neoliberalen Liberalen unter dem Narzissten Lindner schon schauen, auch wenn sich dieser gerade als besonders geschichtsbeflissen zeigt und vor den Parallelen zu 1933 warnt. Die Neuwahlen werden erst einmal zur Atomisierung der Sozialdemokratie führen und zur Marginalisierung der Grünen, die im typisch deutschen Hang und Drang zur Macht bereit waren, jede, aber auch wirklich jede Glaubwürdigkeit für ein paar Ministerposten über Bord zu werfen. In einem Rechtsstaat ist solcherlei Zahltag für unfähiges Regieren normal und vertretbar. In einer bis in die tiefsten Abgründe gespaltenen Gesellschaft wirkt sich solcherlei Orientierungslosigkeit fatal aus. Man braucht weder Wahrsager noch Politikwissenschafter zu sein (wobei in der modernen Digitaldiktatur die diesbezüglichen Unterschiede durchaus fliessend sind), um vorauszusagen, dass die neoliberale Christenfraktion höchstwahrscheinlich stärkste Gruppe werden wird, dicht gefolgt von der heutzutage von dämlichen Parteistrategen und einem auf Spektakel setzenden Medienmob erst zu Martyrern gemachten und dann zum Machtfaktor gewordenen AfD. Möglich ist auch das Umgekehrte, was am Ende auf dasselbe hinaus läuft. Beide werden sich – nach vorherigen geheuchelten Abschwörungen – zu einer neuen deutschen Regierung finden. Der Rest ist, in der Tat, Geschichte.

Was kümmert uns das in der Schweiz?

Es gibt darauf keine eindeutige Antwort, Differenzierung ist angesagt. Zum Beispiel, dass die Westschweiz, les Romands, sich ziemlich um das Schicksal der Nachbarn im Norden foutieren. Ihnen ist aus naheliegenden Gründen Frankreich näher. Nicht nur sprachlich. Und sollte sich jenseits der Saane ein gewisser kritischer Geist gegenüber der Grande Nation breit gemacht haben, gibt es dafür reichlich Gründe. Der neoliberale Macronismus ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was man sich in breiten Kreisen im Welschland als Heimat vorstellt. Die peinliche Anbiederung Macrons an die faschistische Bewegung des Rassemblement National findet ausserhalb der unverbesserlichen Subventionsempfänger in Agrar- insbesondere in Weinbaukrisen der Westschweiz wenig Resonanz.

Komplizierter sieht es in der Deutschschweiz aus. Oder sollte man in der deutschen Schweiz schreiben? Schwierig. Die notorische Nähe hiesiger bürgerlicher, eher spiessbürgerlicher Kreise zum sprachverwandten Nachbarn lässt die Vermutung aufkommen, dass im Zweifelsfall, die Haltung zu einem faschistoiden Deutschland unter Führung oder Duldung der AfD nicht eindeutig geboten wäre. Die Bewegung der Fröntler lehrt uns, mit Vorsicht an die Unverbrüchlichkeit demokratischer Werte zu glauben. Wichtiger wiegen jedoch die wirtschaftlichen Fakten. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner unter den Nachbarländern. Mit Abstand. Die meisten Einwanderer in die Schweiz – schamvoll als Fachkräfte bezeichnet - kommen aus dem grossen Kanton. Kein Spital, das nicht auf deutsches Personal angewiesen wäre. Und in den Betrieben, wo man auf Disziplin und Hierarchie setzt, sind Deutsche als Befehlshaber unverzichtbar. In Banken, Versicherungen, in der Chemie, bei der Bahn und bei der Post sowieso. Die deutsche Schweiz hat den bevorstehenden Umsturz im Norden politisch-institutionell längst schon eingepreist (welch typisch toitsches Wort, fast so schön wie zeitnah oder Rinderkennzeichnungsfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz!). Wenigstens in den Personalabteilungen, wo die Fachkräfte aus dem Norden das Kommando über Menschliche Rohstoffe bereits weitgehend übernommen haben.

Auch punkto Rassismus ist die Schweiz, namentlich die deutsche Schweiz, schon ordentlich vorangekommen. Man denke etwa an das Burka-Verbot oder die Minarett-Initiative, ganz zu schweigen vom Umgang mit Flüchtlingen, wo man jetzt ohne rot zu werden die uns wertemässig angeblich näher stehenden in die erste Klasse eingeteilt hat, um Menschen von ferner liegenden Ländern um so rascher loszuwerden. Und die Spaltung der helvetischen Gesellschaft, über 150 Jahre leidlich durch einen einigermassen schlauen Finanzausgleich zusammen gehalten, ist ohnehin Tatsache seit man uns mit der Aushebelung der Verfassung durch „Massnahmen“ für Masken und Banken den letzten Rest an Loyalität zum Staat ausgetrieben hat.

Man sollte auf Sahra Wagenknecht hören

Wenigstens gibt es eine Stimme, die man im landläufigen Gekreische der gerade Empörten, heraushören könnte. Sie gehört Sahra Wagenknecht, die seit Jahren eine gerechtere und humanere Gesellschaft anmahnt und nun, nach jahrelangen Querelen in der Linken und mit dem nötigen, kritischen Abstand zum ephemeren Politiktheater, ihre eigene Partei sowohl zwischen Linken, Pseudolinken als auch dem immer mehr nach rechts abdriftenden bürgerlichen Lager gegründet hat. Ihr Konzept Oekologie marxistischer Prägung zu nennen griffe zu kurz, gäbe aber die Richtung an. Man sollte auch hierzulande ihre Reden hören oder ihre Schriften lesen. Wagenknecht ist der Typus Politikerin, die die Lehren aus der Geschichte der DDR ebenso zu ziehen vermochte, wie sie die falschen Signale des für zu viele verführerischen Ultrakapitalismus zu entlarven versteht. Sie eröffnet den dritten Weg, der zwar mit Mühen, vermutlich auch mit Hindernissen und Umleitungen gespickt sein wird, aber es ist der einzige, der an der am nahen Horizont aufscheinenden Katastrophe vorbei führt.

Der gegenwärtige Deutsche Winter könnte dank Wagenknecht einem Frühling weichen, der uns allen Hoffnung auf mehr Humanismus geben wird.

Olten, 29.1.2024/SF


EU - wozu?

Ergänzt 1. Janaur 2024

Um es vorwegzunehmen: wir ha